Stammbaum
Die Kantonesische Schreibweise
0. Wong Long (王朗, ca. 1650)
1. Sing Siu Dou Jan (什銷道人, ca. 1750) Taoistische Priester
2. Lee Sam Zin (李三剪, ab 1821)
3. Wong Wing Sang (王榮生, 1854-1926)
4. Fang Juk Dung (范旭東, 1841-1936)
5. Lo Gwong Juk (羅光玉, 1888-1944)
6. Ziu Zi Man (趙志民, 1901-2002)
Die Geschichte des Qi Xing Tang Lang Quan
七星螳螂拳 - 歷 史
得失枯榮忠在天,機關用盡也徒然。
人心不足蛇吞象,世事到頭螳捕蟬。
無藥可自延卿壽,有錢難賣子孫賢。
甘貧守分隨緣過,便是逍遙自在仙。
- 羅洪憲
Dé Shī Kū Róng Zhōng Zài Tiān, Jī Guān Yòng Jìn Yě Tú Rán.
Rén Xīn Bù Zú Shé Tūn Xiàng, Shì Shì Dào Tóu Táng Bǔ Chán.
Wú Yào Kě Zì Yán Qīng Shòu, Yǒu Qián Nán Mǎi Zǐ Sūn Xián.
Gǎn Pín Shǒu Fèn Suí Yuán Guò, Biàn Shì Xiāo Yáo Zì Zai.
– Luo Hong Xian
Gewinn und Verlust, Verfall und Wachstum, gehorchen nur dem Himmel;
Entwürfe und Pläne werden sich als sinnlos erweisen.
Ein nie zufriedener Mensch, ist wie eine Schlange, die einen Elephant verspeisen versucht;
Der Weg des Lebens ist am Ende wie eine Gottesanbeterin, die eine Zikade fängt.
Keine Medizin kann wie durch Wunder das Leben verlängern;
Mit Geld kann man nicht den Wert von Nachkommen erkaufen.
Sei in Armut zufrieden und spiele die Rolle, die das Schicksal Dir zuteilt;
Dann wirst Du genauso sorgenfrei sein wie ein Unsterblicher.
– von Luo Hong Xian
Wie im Abschnitt über die Geschichte der Chinesischen Kampfkünste im Allgemeinen dargestellt, gab es mehrere Ereignisse in der Geschichte Chinas, welche viele der historischen Aufzeichnungen alter Klöster, Meister und Kampfkünstlern zerstört und damit die genauen Geschehnisse verwischt hat. Insofern müssen wir uns für die Anfänge bis einschließlich zur zweiten Generation auf die mündlich weitergegebenen Informationen verlassen. Da die Akkuratesse dieser Erzählungen damit nicht beweisbar ist, müssen wir uns damit zufrieden geben, die hier dargestellten Ursprünge des Sieben Sterne Mantis Kung-Fu als Legende zu bezeichnen. Anders als man im Wissen um diese Legende vielleicht vermuten würde, waren die herausragenden Kampffähigkeiten der Mantis bereits lange vor dem Auftreten des daoistischen Mönches Wang Lang bekannt. Das zeigt insbesondere das Gedicht auf der vorigen Seite, welches von Luó Hóng Xiàn (羅洪憲) in der Tang-Dynastie (618-907) geschrieben wurde.
Die Gründung: Wang Lang 王朗 (vor ca. 380 Jahren)
In der Zeit am Ende der Ming-Dynastie (明朝, 1368-1644) und dem Anfang der Qing-Dynastie (清朝, 1644-1911), gab es in der Region des Berges Lao (Láo Shān, 嶗山) der Provinz Shandong (山東) einige Daoistische Tempel, die unter einer gemeinsamen Leitung standen. Darunter waren drei öffentliche Tempel, sechs Klöster und zweiundsiebzig Frauenklöster, in welchen rund achthundert Daoisten lebten. Daneben gab es in der Region auch einige unabhängige Buddhistische Tempel. Die drei öffentlichen Tempel waren der Tempel im Mond, der Tempel der Himmlischen Königin (Tiān Hòu Gōng, 天后 宮) und der Tempel der Drei Reinen (Sān Qīng Gōng, 三清宮).
Die Mönche dieser drei Tempel lernten von früher Jugend an die Kampfkünste, wobei vor allem der Tempel der Drei Reinen bekannt war für das dort unterrichtete Langfaust-Boxen (Cháng Quán, 長拳).Dies war die Heimat des aus wohlhabender Familie stammenden Wáng Lǎng (王朗). Obwohl er keinen Lehrer hatte, galt Wang Lang als äußerst intelligent und begabt in den Kampfkünsten. Und so erwies Wang Lang den Mönchen des San Qing Tempels die Ehre und erbat die Aufnahme als Schüler, wodurch er zum daoistischen Mönch wurde und von den Mönchen ihr gesamtes Wissen um die Kampfkünste erlernte. Durch seine Taten erlangte er im Lauf der Zeit den Beinamen „Schatz zum Schutze des Berges“. Eine dieser Taten war, dass Wang Lang in einem Hochsommer seine Mönchsbrüder zum Schutz auf einer Reise durch das Land begleitet hat. Dabei kam er am Shaolin Kloster (Shào Lín Sì, 少 林寺) am Berg Song (Sōng Shān, 嵩山) in der Provinz Henan (河南) vorbei, wo er sich mit den dort lebenden buddhistischen Mönchen messen wollte. Allerdings war er nicht in der Lage auch nur einen von ihnen zu besiegen. Angeblich war unter ihnen der Tongbeiquan (通背拳) Meister Han Tong (韓通).
Nach den Kämpfen verlies Wang Lang frustriert den Tempel und lies sich im Schatten einer Weide auf einem Stein nieder, um sich abzukühlen und zu erholen. Bei dieser Gelegenheit beobachtete er zufällig einen Kampf auf Leben und Tod zwischen einer Gottesanbeterin (Táng Láng, 螳螂) und einer wesentlich größeren Zikade (Chán, 蟬). Bei einem Angriff der Zikade wich die Gottesanbeterin (lat. mantis religiosa) aus und schnappte blitzschnell und mit großer Kraft mit ihren Armen nach der Zikade, was sie tötete. Beeindruckt von Aggressivität, Geschwindigkeit und Kraft des Insektes, fing Wang Lang das Tier, kehrte nach Hause zurück und studierte die Bewegungen der Mantis, indem er sie mit einem Schilfrohr provozierte.
Mit seinen Beobachtungen aus dieser Zeit entwickelte er daraus die ersten Bestandteile des späteren Sieben Sterne Mantis Boxens, welches sich durch kräftige, schnelle und ruckartige Bewegungen auszeichnet. Diese Grundlagen aus dieser Zeit waren:
- Die zwölf Schlüsselworte (Shí èr Zì Jué, 十二字訣)
- Die sieben Langen und acht Kurzen Energien (Qī Cháng Bā Duǎn, 七長八短)
- Die acht Harten und zwölf Weichen Methoden (Bā Gāng Shí èr Róu, 八剛十二柔)
- Die acht Schlag- und acht Nicht-Schlag-Punkte (Bā Dá Bā Bù Dá, 八打八不打)
Nachdem die Grundlage des Stils durch diese Übungen gelegt waren, kombinierte Wang Lang die neuen Inhalte mit seinem Wissen über vermutlich achtzehn andere Kampfstile und der Beinarbeit aus dem Affenstil. Damit war der frühe Mantis-Stil, der zu der Zeit auch die „geheimen Hände“ (Mì Shǒu, 密手) genannt wurde, begründet. In seinem späteren Leben lehrte Wang Lang den anderen Mönchen im San Qing Kloster seinen Kampfstil bis zu dem Zeitpunkt, als er die Provinzen Guangxi (Guǎng Xī, 廣西) und Zhejiang (Zhè Jiāng, 浙江) bereiste, um die Bewegung „Umsturz der Qing, Wiederherstellung der Ming“ (Fǎn Qīng Fù Míng, 反清復明) zu unterstützen, indem er Altmeister verschiedener Kampfstile versammelte. Die Qing verfolgten Anhänger dieser Strömung massiv und zum Schutze der ehrwürdigen Lehrer flüchtete Wang Lang zusammen mit ihnen in die Kunlun Berge (Kūn Lún Shān, 崑崙山).
Auffällig sind viele Parallelen zwischen Wang Lang und dem Begründer des Taijiquan (Tài Jí Quán, 太極拳) namens Zhāng Sān Fēng (張三丰):
- Beide lebten zu der Zeit der Ming-Dynastie
- Beide galten als sehr begabt, waren zuvor in verschiedenen Kampfstilen ausgebildet und wurden trotzdem von Techniken der Shaolin-Mönche besiegt
- Beide waren Daoisten
- Beide kreierten ein System, welches auf Schlüsselworten basiert, von denen sich ein Teil sogar entsprechen
- Beide Systeme benutzen Theorien von acht Trigrammen (Bā Guà, 八卦) und fünf Elementen (Wǔ Xīng, 五行)
- Auch Zhang San Feng wird durch den Kampf zweier Tiere inspiriert, nämlich dem zwischen einer Schlange und einem Kranich
Die erste Generation: Shen Xiao Dao Ren 什霄道人 (ca. 1750)
Nach dem Ableben des Stilgründers (Shī Zǔ, 師祖) Wang Lang wurde der Stil zunächst als Geheimnis des San Qing Tempels unter den Mönchen weitergegeben. Zu der Zeit des Abtes Fú Jū (福居) lud dieser angeblich achtzehn der alten Meister (Shí Bā Sòu, 十八叟) zu einem Symposium der achtzehn Stile ein, welche den ursprünglichen Mantis Stil ausmachten (auch genannt: Das 18 Familiensonnet). Diese Stilrichtungen waren:
1. Langfaust nach Kaiser Taizu aus Song (Sòng Tài Zǔ Cháng Quán, 宋太祖長拳)
2. Durch den Rücken Stil (Tōng Bèi Quán, 通背拳) nach Meister Hán Tōng (韓通師父)
3. Winden und Versiegeln (Chán Fēng, 纏封) nach Meister Zhèng Ēn (鄭恩師父)
4. Kurze Schläge (Duǎn Dá, 短打) nach Meister Mǎ Jí (馬籍師父)
5. Schwer den Körper erreichen (Kào Shēn Nán, 靠身難) nach Meister Huáng Yòu (黃祐師父)
6. Blockende Hand und Durchschlagende Faust (Kè Shǒu Tōng Quán, 磕手通拳) nach Meister Jīn Xiāng(金相師父)
7. Hakende, Greifende und Ziehende Hände (Gōu Lōu Cǎi, 勾摟採) nach Meister Liú Xīng (劉興師父)
8. Die Methode Fangen, Halten und Fallen (Niān Ná Diē Fǎ, 拈拿跌法) nach Meister Yān Qīng (燕青師父)
9. Kurzes Boxen (Duǎn Quán, 短拳) nach Meister Wēn Yuán (溫元師父)
10. Affen Stil (Hóu Quán, 猴拳) nach Meister Sūn Héng (孫恆師父)
11. Die Baumwoll-Handfläche (Miàn Zhǎng, 面掌) nach Meister Mián Shèng (綿盛師父)
12. Werfen, Fassen und Zähigkeit (Shuāi Luō Yìng, 摔捋硬) nach Meister Huái Dé (怀德師父)
13. Verschwinden, Antäuschen und das Ohr durchstechen (Gǔn Lòu Guàn ěr, 滾漏貫耳) nach Meister Tān Fāng (譚方師父)
14. Mandarin-Enten Tritte (Yuān Yang Jiǎo, 鴛鴦腳) nach Meister Lín Chōng (林沖師父)
15. Sieben Haltungen und Ketten-Schläge (Qī Shì Lián Quán, 七勢連拳) nach Meister Mèng Sū (孟甦師父)
16. Den Knüppel ziehen und gerade hineingehen (Gùn Cǎi Zhí Rǔ, 棍採直入) nach Meister Yáng Gǔn (楊滾師父)
17. Gegen die inneren Gruben des Menschen hämmern (Wō Lǐ Puī Chuí, 窩裡剖捶) nach Meister Cuī Lián (崔連師父)
18. Der Stil der Gottesanbeterin (Táng Láng Quán, 螳螂拳) nach Meister Wáng Lǎng (王朗師父)
Ausgehend von diesem Symposium sammelte und fertigte Abt Fu Ju einige Dokumente über das Mantis Boxen, welche er später den daoistischen Mönchen Yǔ Zhòu Dào Rén (宇 宙道人) und Shén Xiāo Dào Rén (什霄道人) überlies. Die Linie von Yu Zhou mündete später im Pflaumenblüten Mantis-Stil, wohingegen die Linie nach Shen Xiao im Sieben Sterne Mantis-Stil mündete.
Shen Xiao war ein Kräuterarzt und Chirurg, der zum San Qing Tempel am Berge Lao reiste, um sich mit anderen Kräuterkennern auszutauschen. Als er am Tempel ankam, beobachtete Shen Xiao die Mönche beim Üben des Mantis-Stils, ein für ihn unbekannter Kampfstil. Mit geweckter Neugierde fragte er die Übenden nach einem Freundschaftskampf, weil er die Effektivität ihres Kampfstils testen wollte. Die Mönche ließen sich erst auf einen Testkampf ein, als Shen Xiao anfing, sich über sie lustig zu machen. Der Kampf war schnell zuende und auch ein zweiter Versuch führte zu einer Niederlage von Shen Xiao. Das schürte das Interesse von Shen Xiao an dem neuen Kampfstil umso mehr und er sprach mit dem Abt des Tempels. Nach langer Diskussion akzeptierten die Mönche Shen Xiao als Schüler und er begann den Mantis-Stil zu erlernen.
Im Laufe der Zeit meisterte er alle Prüfungen und schulte sich außerdem im Daoismus, was ihm den Namenszusatz „Dao Ren“ erbrachte, was so viel bedeutet wie „Mensch des Daoismus“. Shen Xiao wurde später selbst Abt eines daoistischen Tempels, schrieb ein Buch über die Achtzehn Qi-Übungen von Luohan (Shí Bā Luó Hàn Qì Gōng, 十八羅漢氣功) und integrierte diese Übungen in den Mantis-Stil. [Auch Fan Xu Dong schrieb in vierter Generation ein Buch über diese Übungen und manche sagen, dass er diese Übungen erst in den Stil integriert hat. Wieder andere behaupten, dass es erst sein Schüler Luo Guang Yu gewesen ist.]
Die zweite Generation: Li San Jian 李三剪 (ab 1821)
Lǐ Sān Jiǎn (李三剪) wurde 1821 im Dorf Ping Du (平度市) in der Provinz Shandong (山東) geboren. Er genoss in seiner Jugend bereits den Unterricht in verschiedenen Kampfkünsten und galt darin als Meister (Shī Fù, 師父). Auf einer Reise wurde er in der Nähe des Tempels des Grünen Drachens (Qīng Lóng Gōng, 青龍宮) von Banditen überfallen. Ein daoistischer Mönch, der den Kampf zufällig mitbekam, eilte ihm zu Hilfe. Es handelte sich dabei um niemand anderen als Shen Xiao Dao Ren. In der Zeit nach diesem Ereignis freundeten sich Li San Jian und Shen Xiao an. Nachdem Shen Xiao erkannte, dass Li San Jian ein aufrichtiger Mann war, lehrte er ihm seinen Mantis Stil.
Nachdem Li San Jian seine Studien bei Shen Xiao abgeschlossen hatte, lies er sich in der Hauptstadt der Shandong-Provinz Jinan (Jǐ Nán, 濟南) nieder und eröffnete einen Sicherheitsdienst. Gegen Geld begleitete er und seine Mitarbeiter Transporte sowie Reisende und bald erlangte er in der gesamten Provinz Shandong große Bekanntheit, vor allem wegen seiner Zuverlässigkeit. Die Banditen der Region fürchteten ihn als unbesiegbaren Diàn Shǒu (電手), die „blitzende Hand“. Erst als Li San Jian älter wurde, beschäftigte ihn die Tatsache, dass er nie seinen Mantis-Stil weitergegeben hatte und befürchtete, dass die Kampfkunst, die ihm Sicherheit und Wohlstand gebracht hatte, aussterben würde. Deswegen begab er sich wieder auf Reisen und suchte einen würdigen Schüler (Tú Dì, 徒弟). Als er in der Stadt Fú Shān (福山) ebenfalls in der Shandong-Provinz ankam, akzeptierte er drei Schüler und später noch weitere. Ihm werden die folgenden Inhalte des Mantis-Stils zugeschrieben:
- Vernichtender Schritt aus Yantai (Yān Tái Bēng Bù, 煙台崩步)
- Unterbrechendes Boxen (Lán Jié Quán, 攔截拳)
- Der Härte ausweichen (Duǒ Gāng, 躲剛)
- Weiche und Flinke Handflächen (Róu Líng Zhǎng, 柔靈掌)
- Weiche und Flinke Ellenbogen (Róu Líng Zhǒu, 柔靈肘)
- Die Mantis fängt die Zikade (Táng Láng Bǔ Chán, 螳螂捕蟬)
Darüber hinaus unterrichtet er eine Form, die zumindest in ihren Grundelementen auf Wang Lang zurückgeht:
→ Die Achtzehn Alten (Shí Bā Sòu, 十八叟)
Im Jahre 1891 hatte Li San Jian einige seiner Schüler ausgebildet und setzte sich in der Stadt Tiān Jīn (天津) in der Provinz Hebei (Hé Běi, 河北) zur Ruhe.
Die dritte Generation: Wang Rong Sheng 王榮生 (1854-1926)
Wáng Róng Shēng (王榮生) wurde am 13. Mai 1854 in Fushan (福山) geboren und erlernte seit seinem achten Lebensjahr, 1862, das Langfaust-Boxen (Cháng Quán, 長拳) und ein Bodenkampfsystem (Dì Tǎng Quán, 地躺拳). Er war sehr talentiert und gewann die nationale Meisterschaft von Fushan. Im Alter von dreiundzwanzig eröffnete er seine eigene Kampfkunstschule.
1888 erreichte der siebenundsechzig Jährige Li San Jian auf seiner Suche nach einem würdigen Nachfolger die Stadt Fushan und suchte den vierunddreißig Jährigen Wang Rong Sheng auf, um eine Demonstration seiner Fähigkeiten zu erbitten. Nach dieser Demonstration sagte Li San Jian, dass er mit diesen Fähigkeiten nicht die Meisterschaft verdient hätte, um ihn zu einem Freundschaftskampf zu provozieren. In diesem Kampf wich der wesentlich ältere Li San Jian beständig und flink aus, ohne einen Ausdruck von Anstrengung. Wang Rong Sheng gestand die Niederlage ein und bat Meister Li ihn als Schüler zu akzeptieren.
Nach etwa drei Jahren hatte Meister Wang seine Studien bei Li San Jian abgeschlossen und da er aus einer wohlhabenden Familie stammte, konnte er sich von da an der Weiterentwicklung des Mantis-Stils widmen und lehrte nur wenigen ausgewählten Schülern seine Kunst im Privaten.
Später wurde Meister Hǎo Lián Rú (郝蓮如師父), welcher damals als Meister des Pflaumenblüten Mantis-Stils (Méi Huā Táng Láng Quán, 梅花螳螂拳) galt, ein guter Freund von Meister Wang. In dieser Zeit wurden die sechs fundamentalen Handformen und einige Waffenformen des Pflaumenblüten Mantis-Stils übernommen. Im Jahr 1926 starb Wang Rong Sheng, nachdem er viele Grundlagen des Stils erweitert hatte. Auf ihn geht auch die Wahl des Sternbildes und der Name „Sieben Sterne“ Mantis Boxen zurück.
Die vierte Generation: Fan Xu Dong 范旭東 (1841-1936)
Geboren im Jahre 1841 in der Stadt Jí Mò (即墨市) in der Provinz Shandong wuchs Fàn Xù Dōng (范旭東) als Kuhhirte auf, denn sein Vater starb als er drei und seine Mutter starb als er fünf Jahre alt war. Später wurde er einer der privaten Schüler von Meister Wang Rong Sheng und bewies außergewöhnliches Talent. Er war von sehr großer Statur, wog etwa 130kg und war bekannt für seine Fähigkeiten bei der Abhärtungsübung „Eisensand Hand“ (Tiě Shā Zhǎng, 鐵沙掌). Bei einem Vorfall, soll er diese Technik eingesetzt haben, als er ein Feld überquerte. Zwei Bullen fühlten sich bedroht und stürmten auf ihn zu. Den ersten vertrieb er mit einem Fußtritt und den zweiten mit einem kräftigen Handkanten-Schlag. Der Farmer, dem die Tiere gehörten, soll sich angeblich sogar darüber beschwert haben, dass Fan Xu Dong die Bullen verletzt habe. Dabei soll Fan Xu Dong darauf beharrt haben, dass er sich nur verteidigt habe. Dieser Vorfall hat sich in ganz Shandong herumgesprochen. Weit berühmter machte ihn aber ein anderes Ereignis: Etwa 1870 wurde er nach Sibirien geschickt, um eine Herausforderung von einem Russischen Boxer zu beantworten. Weil ihm zunächst das Geld fehlte, veranstaltete die Yantai Kung-Fu Gemeinschaft Demonstrationen mit Eintritt, um die Reise zu finanzieren. Den Kampf mit dem Boxer gewann er auf spektakuläre Weise. Anschließend soll er einen Säbel genommen haben und damit gewunken haben. Die Menge rief danach im Chor: „Der Riese mit dem Säbel“. Dieser Name ging durch das ganze Land.
Später schrieb Fan Xu Dong fünf Bücher über das Mantis Kung-Fu, darunter ein Buch über Kräuterheilkunde, ein Buch über die Achtzehn Qi-Übungen von Luohan und die restlichen über den nördlichen Mantis Stil. Diese handschriftlichen Bücher wurden einige Male (teilweise handschriftlich) kopiert und in den verschiedenen Linien von Generation zu Generation weitergegeben. So erreichten Kopien dieser fünf Bücher Meister Lǐ Jǐn Róng (李錦榮師父), welcher ebenfalls mehrere Kopien an seine Close-Door Schüler (Bì Mén Tú Dì, 閉門徒弟) weitergegeben hat. Trotz seiner gewaltigen äußeren Erscheinung hatte Meister Fan ein freundliches Gemüt und lehrte des Stil offen für jedermann in der Stadt Yantai der Shandong-Provinz. Er hatte ungewöhnlich viele Schüler. 1936 starb Meister Fan in seiner Heimatstadt Jimo in Shandong.
Die fünfte Generation: Luo Guang Yu 羅光玉 (1888-1944)
In den chinesischen Kampfkünsten unterscheiden einige Meister verschiedene Stufen der Schülerschaft. Es gibt den gewöhnlichen Schüler (Xué Shēng, 學生), der schlicht am Training teilnimmt. Ein ordentlicher Schüler (Tú Dì, 徒弟) wird man in der Regel nach Durchführung einer Baishi-Zeremonie (Bài Shī Lǐ, 拜師禮), bei welcher man sich vor dem Meister verbeugt und ihm Tee anbietet. Ein ordentlicher Schüler gilt dann als Nachfolger des Meisters. Wenige Meister unterscheiden eine weitere Stufe der Schülerschaft, den Schüler des geschlossenen Tores, Close-Door Schüler (Bì Mén Tú Dì, 閉門徒弟), welche dann eventuelle Stilgeheimnisse gelehrt bekommen. Fan Xu Dong unterrichtete offen und hatte daher viele gewöhnliche Schüler. Stilgeheimnisse verbarg er nicht, daher gab es unter seiner Leitung keine Close-Door Schüler. Von seinen vielen Schüler galten aber nur neun als ordentliche Schüler. Der vierte von ihnen war Luó Guāng Yù (羅光玉).
Luo Guang Yu wurde 1888 im Bezirk Penglai (Péng Lái Shì, 蓬萊市) der Provinz Shandong geboren und lebte in der Region als Schuster. Er bekam im Laufe der Zeit sechs Kinder. Erst mit zwanzig Jahren startete Luo Guang Yu 1908 sein Training bei Fan Xu Dong. Er trainierte elf Jahre mit eiserner Disziplin unter seinem Meister und angeblich lief er jeden Tag jede Form mehrere Male und dadurch wurden seine Fähigkeiten hervorragend. Wegen seines landesweiten Rufes bekam Meister Fan Xu Dong von der Shanhai Jing Wu Sport Vereinigung (Shàng Hǎi Jīng Wǔ Tǐ Yù Huì, 上海精武體育會) eine Stelle als leitender Lehrer des Sieben Sterne Mantis Kung-Fu angeboten. Da Meister Fan zu diesem Zeitpunkt bereits in hohem Alter war, schickte er Luo Guang Yu an seiner statt. Dieser erreichte Shanghai (Shàng Hǎi, 上海) im Jahre 1919, wo er sich den Respekt der anderen Lehrer erst hart erarbeiten musste, da diese mit Meister Fan gerechnet hatten.
Das gelang ihm unter anderem dadurch, dass er 1919 die Große Meisterschaft der Kampfkünste in Shanghai gewann. Zehn Jahre lang unterrichtete Meister Luo in seiner Position in Shanghai und war sehr erfolgreich. Einer seiner Schüler namens Mǎ Chéng Xīn (馬成鑫) gewann 1929 einen Wettkampf in Nanjing (Nán Jīng, 南京). Dann wurde Luo Guang Yu im Jahr 1932 von der Hong Kong Jing Wu Sport Vereinigung (Xiāng Gǎng Jīng Wǔ Tǐ Yù Huì, 香港精武體育會) zum Lehrer für Sieben Sterne Mantis Kung-Fu berufen und so wurde durch Meister Luo der Sieben Sterne Mantis Stil erstmals nachhaltig über die Grenzen der Shangdong-Provinz hinaus verbreitet.
Während der gesamten Zeit seiner Lehre, war Luo Guang Yu immer sehr vorsichtig im Umgang mit seinen Schülern. Ebenso wie sein eigener Lehrmeister Fan Xu Dong hatte Luo Guang Yu großes Talent in den „Eisensand Händen“. Bei Trainingskämpfen soll er lediglich Block-Techniken eingesetzt haben, weil er fürchtete, jemanden verletzen zu können. Seine Lieblingsform war „Die Mantis stiehlt den Pfirsich“ (螳螂偷桃), weil diese sehr schnelle Bewegungen enthielt und sich für die Ausbildung von Kampffähigkeiten besonders gut eignete. Dennoch galt Luo Guang Yu nicht als Formenspezialist, er hatte eher eine Vorliebe und eine Expertise für den freien Kampf.
Im Jahre 1944 entschloss sich Luo Guang Yu dazu sich in seiner Heimatstadt zur Ruhe zu setzen und machte sich zusammen mit zwei seiner Söhne auf den Weg nach Penglei. Während der Reise erkrankte Luo Guang Yu und verstarb im Alter von 56 Jahren. Einer seiner bedeutendsten Beiträge zum Sieben Sterne Mantis Kung-Fu sind die vierzehn Bahnen der schnellen Beine (Shí Sì Lù Tán Tuǐ, 十四路彈腿). Auch ist unklar, ob er, Fan Xu Dong oder Shen Xiao Dao Ren die Achtzehn Qi-Übungen des Luohan in das Qi Xing Tang Lang Quan integriert hat. Durch den Einfluss der anderen Lehrer der Jing Wu Sport Vereinigung auf Luo Guang Yu, wurden auch stilfremde Formen in das Sieben Sterne Mantis Kung-Fu integriert. Beispiele hierfür sind:
- Form zur Kraftentwicklung (Gōng Lì Quán, 功力拳)
- Ketten-Faust (Jiē Quán, 節拳)
- Zivile und militärische Schwertkunst der acht Unsterblichen (Wén Wǔ Bā Xiān Jiàn, 文武八仙劍)
- Säbel der acht Trigramme (Bā Guà Dān Dāo, 八卦單刀)
Anders als Meister Fan Xu Dong, war Luo Guang Yu von eher schmächtiger Statur. Während Fan Xu Dong aufgrund seines Körperbaus eher vergleichsweise langsame und überkräftige Bewegung bevorzugte, musste Luo Guang Yu sich auf seine Schnelligkeit verlassen. Dazu passte er die Mantis Formen seiner eigenen Kampfweise an, verkürzte die Bewegungen und erhöhte die Stände. Dieser Stil glich bereits sehr dem heutigen Hong Kong Sieben Sterne Mantis Stil. Alles in allem hat Luo Guang Yu einen bedeutenden Einfluss auf den Stil gehabt und wird unter den anderen Generationen als einer der bedeutendsten Vertreter gesehen.
Die sechste Generation: Zhao Zhi Min 趙志民 (1901-2002)
Zhào Zhì Mín (趙志民) wurde 1901 geboren und trat 1924 der Hong Kong Jing Wu Sport Vereinigung bei, um die nördlichen Shaolin Kampfkünste zu erlernen (Běi Shào Lín Quán, 北少林拳). Er begann damit die Shaolin Schnelle Beine (Shào Lín Tán Tuǐ, 少林彈腿). Später begann er mit Taijiquan (Tài Jí Quán, 太極拳) und dem Adler-Klauen Stil (Yīng Zhuǎ Fān Zi Quán, 鷹爪翻子拳). Aus dieser Zeit existiert auch eine Video-Aufnahme von Zhao Zhi Min, wie er eine Adler-Klauen Form läuft. Als Meister Luo Guang Yu 1932 in der Hong Kong Jing Wu Sport Vereinigung ankam, um Sieben Sterne Mantis Kung-Fu zu unterrichten, begann Zhao Zhi Min direkt mit dem Training unter Meister Luo, nachdem er durch seinem Taijiquan-Meister vorgestellt wurde. Nach drei Jahren des Trainings wurde Zhao Zhi Min durch Luo Guang Yu zum Hilfslehrer ernannt und er vertrat seinen Meister in seiner Abwesenheit. Im selben Jahr wurde Zhao Zhi Min zum Hauptgeschäftsführer der Hong Kong Jing Wu Sport Vereinigung ernannt. Später begleitete er seinen Lehrer auf Reisen und veranstaltete Demonstrationen mit ihm.
Als wegen der Wirtschaftskrise die Hong Kong Jing Wu Sport Vereinigung schließen musste, gründete Zhao Zhi Min zusammen mit seinen Schülern etwas später im Jahre 1938 die Minqiang Sport Vereinigung (Mín Qiáng Tǐ Yù Huì, 民強體育會) und sein Meister Luo Guang Yu wurde zum Hauptlehrer des Mantis Stils ernannt. Als dann der Pazifikkrieg ausbrach musste auch diese Sport Vereinigung schließen und Meister Luo entschloss sich in seine Heimat zurückzukehren, woraufhin er wenig später starb. Meister Zhao blieb allerdings in Hong Kong und organisierte weiterhin viele Demonstrationen und Wettkämpfe, um die Mantis-Kampfkunst weiter zu verbreiten. Im September 2002 starb Zhao Zhi Min.